(Ein Interview aus der kks Kinderkrankenschwester 08-2017).

Unflexible Dienstzeiten, Personalmangel, undankbare Patienten, autoritäre Entscheidungen: Es gibt viele Gründe, weshalb Pflegepersonen über berufliche Veränderungen nachdenken. Viele liebäugeln mit dem Weg in die Selbstständigkeit. Die Journalistin Angelika Staub hat darüber mit Unternehmensberaterin Petra Welz gesprochen.

Selbständigkeit als Ausweg aus der Arbeitsbelastung?

kks: Frau Welz, Sie begleiten schwerpunktmäßig Frauen, die in der Sozialwirtschaft, der Kreativwirtschaft und dem Gesundheitswesen auf dem Weg in die Selbstständigkeit sind. Suchen Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen die Freiberuflichkeit als Ausweg aus der zunehmenden Arbeitsbelastung?

Petra Welz: Zumindest ist die Freiberuflichkeit ein Freiheitsgewinn. Denn es tut gut, zu wissen: Ich bin meine eigene Chefin und entscheide selbst, ob ich Workshops für Eltern mache und wie viel ich noch in der Pflege weiterarbeite. Die Krankenhäuser bieten keine Freiheiten. Sie sind sehr hierarchisch aufgebaute Institutionen, wo man Dienst nach Vorschrift macht.

kks: Freiheit kann aber auch bedeuten, als Festangestellte einen Anspruch auf 30 bezahlte Urlaubstage zu haben.

Petra Welz: Ja, das ist die andere Seite. Ich würde deshalb niemanden zur Existenzgründung überreden.

kks: Ist Freiberuflichkeit möglicherweise nur ein Trend?

Petra Welz: Als Trend beobachte ich Frauen in der Lebensmitte, zirka 40 Jahre und aufwärts, die sich nochmal für ein anderes berufliches Setting entscheiden, zum Beispiel für Existenzgründung, um auf eigenen Beinen zu stehen. Und ich beobachte jüngere Frauen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern wollen. Sie suchen nach mehr Spielraum im Alltag und flexibleren Arbeitszeiten.

Exkurs: Freiberuflichkeit

„Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.“ (siehe §18 Einkommensteuergesetz)

kks: Mit welchen Angeboten punkten freiberufliche Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen auf dem Arbeitsmarkt?

Petra Welz: Beispielsweise mit präventiven Angeboten rund um die Säuglingsversorgung, also mit Eltern-Kind-Gruppen, Workshops, Infoabenden oder Kursen in Erster Hilfe am Kind. Darüber bauen sie sich ihren Bekanntheitsgrad auf. Aus wirtschaftlichen Gründen arbeiten viele zusätzlich noch in der Pflege, sei es im Rahmen der Frühen Hilfen oder einer Anstellung.

Selbstständigkeit in Teilzeit

kks: Teilselbstständigkeit stelle ich mir kompliziert vor.

Petra Welz: Sie bietet sich aber in der nicht besonders gut bezahlten Gesundheits- und Kinderkrankenpflege regelrecht an, als Ergänzung zur Angestelltentätigkeit. So kann man seine eigenen Angebote auf dem Markt erst einmal ausprobieren, ohne gleich unter existenziellen Druck zu geraten.

kks: Wie ist das aus rechtlicher Sicht überhaupt möglich?

Petra Welz: Wenn die Pflegekraft noch angestellt ist und gleichzeitig selbstständig arbeitet, muss sie mit ihrem Arbeitgeber reden. Denn er könnte in ihrer zusätzlichen Tätigkeit eine Konkurrenzsituation sehen. Keine Gefahr hingegen wird er befürchten, wenn sie neben ihrer pflegerischen Tätigkeit im Krankenhaus nur präventiv arbeitet, indem sie etwa Eltern-Kind-Kurse anbietet.

kks: Manche arbeiten also erst in Teilzeit, um sich darüber auf die Vollselbstständigkeit vorzubereiten?

Petra Welz: Die meisten machen es so. Wie eine meiner Kundinnen. Sie ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin in Süddeutschland und möchte vorerst weiter angestellt bleiben, um darüber ihre Sozialversicherung gesichert zu wissen. In diese Entscheidungen fließt ja immer auch die persönliche Situation ein – ob eine Kundin alleinerziehende Mutter oder kinderlose Ehefrau ist, ob sie große oder kleine Zeitkapazitäten hat und so weiter. Viele Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen fühlen sich mit der Anstellung im Rücken sicherer als nur mit der Freiberuflichkeit. Das ist mitunter stressig, aber besser als von null auf hundert durchzustarten.

kks: Welche Rolle spielt im Umbruch der Schichtdienst?

Petra Welz: Bei gutem Zeitmanagement sehe ich ihn eher als Chance denn als Handicap. Dann bietet sich der Vormittag an. Er eignet sich gut für Mutter-Kind-Gruppen und der Abend sowie das Wochenende für Angebote, an denen auch Väter teilnehmen sollen.

Weiterbildung in der Phase des beruflichen Umbruchs

kks: Wie lange dauert so ein Übergang von der Teil- in die Vollselbstständigkeit?

Petra Welz: Das hängt von der persönlichen Situation ab. Mütter etwa lassen sich durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder o mehr Zeit. Andere hingegen wechseln schnell. Wie zum Beispiel eine meiner Seminarteilnehmerinnen. Als angestellte Mitarbeiterin eines häuslichen Pflegedienstes hatte sie beatmete Kinder versorgt und wollte das Gleiche dann in eigener Struktur anbieten. Durch die schon vorhandenen Kontakte und ihren Bekanntheitsgrad konnte sie zügig in die Vollselbstständigkeit wechseln. In der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege noch nicht beobachtet habe ich Adhoc-Entscheidungen.

kks: Inwieweit können Seminare beim Sprung in die Selbstständigkeit helfen?

Petra Welz: Ein Existenzgründungsseminar ist o die Eingangstür, um Grundwissen zu erwerben, zudem der Entscheidungspunkt, ob der Wechsel in die Selbstständigkeit überhaupt in Frage kommt. Denn erst wenn alle Fakten geklärt sind, kann die Entscheidung wirklich fallen. Das braucht Zeit. Viele Teilnehmerinnen melden sich erst zwei oder drei Jahre später wieder, dann zur Einzelberatung.

kks: Sie beraten die meisten Kundinnen hier in Ihren eigenen Räumen in Düsseldorf, sind manchmal aber auch landes- beziehungsweise bundesweit unterwegs.

Petra Welz: Zum Beispiel wenn ich Seminare in Kooperation mit der IG Kikra (Interessengemeinschaft freiberuflich und/oder präventiv tätiger Kinderkrankenschwestern e.V.) gebe.

kks: Die Teilnehmerinnen kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. Wie gewähren Sie anschließende Einzelberatungen?

Petra Welz: Wenn kein Face-to-face Gespräch in meinem Büro möglich ist, dann sprechen wir per Telefon oder Skype.

Mut und innerer Auftrag

kks: Sie haben vorher vom Freiheitsgewinn gesprochen. Sind Freiberufler die mutigeren Menschen?

Petra Welz: Es ist wohl eine Mischung aus Mut und innerem Auftrag. Die nach Selbstständigkeit strebenden Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen zeigen eine starke Identifikation mit ihrem Beruf und ihrer Tätigkeit, zudem eine starke Liebe zu Kindern.

kks: Gibt es ein ABC für den Weg zur Selbstständigkeit?

Petra Welz: Warum nicht? Nehmen wir das A für Basiswissen über Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht. Eine Kundin, die fünf, 20 oder 40 Stunden selbstständig arbeitet, muss vorher ihre Rechte und Pflichten kennen. Das B steht für Unternehmerinnenpersönlichkeit. Wer sich selbstständig macht, muss seine Leistung verkaufen. Dazu gehört auch ein gewisses Verkaufsgenie. Manche bringen es mit, andere müssen es sich erst erarbeiten und die Bremse lösen oder den Block überwinden. Das C ist schließlich die Vernetzung und der Bekanntheitsgrad. Kontakte zu Hebammen, Geburtshäusern, Familiencafés und Eltern – bestenfalls über die eigenen Kinder – sind sehr wichtig.

kks: Und eine gute Portion Erfahrung.

Petra Welz: Ja, man sollte vorher ein paar Jahre in Anstellung gearbeitet haben. Zudem hilft, wie so oft, auch eine gewisse Lebenserfahrung.

kks: Angenommen, die Würfel für die Vollselbstständigkeit sind gefallen. Welche großen Herausforderungen folgen?

Petra Welz: Viele Kundinnen unterschätzen den Aspekt, sich mit ihrer Leistung zu verkaufen, ganz gleich ob gegenüber Jugendämtern, Pflegevereinen, Familienbildungsstätten oder Kindergärten. Sie spüren, dass ihre angebotene Leistung anders als in der Anstellung nun mit ihrer Persönlichkeit eng verknüpft wird. Immer wieder unterschätzt wird auch die Finanzierung. Deshalb rate ich meinen Kundinnen, wirklich durchzurechnen, wie hoch ihre Betriebskosten sein werden, was sie zum Leben brauchen und wie viele Kurse oder Pflegestunden sie demnach machen müssen. Wer sich dann zutraut, die Vorgaben zu realisieren, hat ein Ziel und kann erfolgreich durchstarten.

Exkurs: Gewerbe

„Als Gewerbe werden fast alle selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten bezeichnet, die weder freiberuflich noch land- oder forstwirtschaftlich und mit Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden.“ (siehe www.gruenderlexikon. de)

kks: Gibt es finanziellen Anschub?

Petra Welz: Höchstens einen Gründungszuschuss, sofern man aus der Arbeitslosigkeit heraus gründet. Das kommt aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation aber kaum infrage. Es sei denn, man ist gesundheitlich angeschlagen oder durch die zeitaufwändige Pflege eines Angehörigen eingeschränkt und hat noch 150 Tage Restanspruch auf Arbeitslosengeld I. Der wird mit dem Gründungszuschuss aber verrechnet, so dass der eigentliche Zuschuss schließlich noch bei 300 Euro liegt.

kks: Damit kann man kaum durchstarten.

Petra Welz: Deshalb ist ein eigenes finanzielles Polster so wichtig, oder eine familiäre Absicherung durch den Partner. Glücklicherweise haben Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen keinen großen Kapitalbedarf. Sie müssen nur die Mobilität herstellen und ein Büro einrichten, brauchen also ein Auto und einen zeitgemäßen Computer. Mehr nicht.

kks: Es sei denn, sie wollen einen Pflegedienst gründen und Mitarbeiter einstellen.

Petra Welz: Das sind aber eher die Männer. Frauen bevorzugen kleinere Unternehmen, riskieren weniger und bauen langsamer auf. Auch hier spielt die Persönlichkeit eine große Rolle. Wer einen Pflege- dienst gründet und aufbaut, ist dann eher Managerin als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Man braucht zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten in Betriebsführung, Mitarbeiterführung, Kostenträgerverhandlung und so weiter. Übrigens, reich wird darüber keiner. Die Pflegesätze sind bescheiden.

kks: Hinzu kommt eine große Verantwortung.

Petra Welz: Ja, wer einen Pflegedienst gründet, bewegt sich in einer anderen Größenordnung als in dem Apparat, der zu unterhalten ist, wenn man sich selbstständig macht und nur für die eigene Person wirtschaftet. Viele Kundinnen, stelle ich fest, wollen ohnehin in der praktischen Arbeit bleiben und weiter pflegen. Trotzdem können sie zusätzlich ein Gewerbe gründen und nebenbei etwa Pflegeaccessoires verkaufen oder wie Hebammen einen Handel mit Tragetüchern betreiben.

Sicherheit versus Freiheit

kks: Frau Welz, Sie leben davon, dass Ihre Kundinnen von der Selbstständigkeit träumen. Wem raten Sie – dann uneigennützig – davon ab?

Petra Welz: Wenn ich mitbekomme, dass eine Frau eher ängstlich ist und ein großes Sicherheitsbedürfnis hat. Denn man braucht Mut, Geduld und auch die Nerven, um Schwankungen beim Einkommen aus- zuhalten. Manche Menschen geraten unter finanzieller Not dermaßen unter Druck, dass sie nicht mehr arbeitsfähig sind. In der Anstellung hingegen hat man – trotz Schichtdienst – relativ geregelte Arbeitszeiten, darüber hinaus bezahlte Urlaubstage.

kks: Wie beugen Sie Bauchlandungen vor?

Petra Welz: Indem ich dazu rate, an Existenzgründungsseminaren teilzunehmen und die vorher erwähnte individuelle Kalkulation aufzustellen. So kommen die Teilnehmerinnen schnell an den Punkt der eigenen Sicherheit oder Unsicherheit. Wer danach noch unentschlossen ist, dem biete ich die Krafttankstelle an. Das Angebot richtet sich an Frauen, die vom Grübeln ins Handeln kommen wollen, um ihr erwünschtes Ziel zu erreichen. Das kann die Selbstständigkeit ebenso gut wie eine Leitungsfunktion sein.

kks: Einmal selbstständig, immer selbstständig?

Petra Welz: Wer einmal die Luft der Freiheit geschnuppert hat, wird sich schwertun, wieder zurück in die Anstellung zu gehen. Wenn aber nötig, so liegt es meist an existenziellen Gründen wie Veränderungen der persönlichen Lebenssituation oder der beruflichen Rahmenbedingungen. Man ist ja in diesem Bereich finanziell abhängig von Pflegesätzen, Bewilligungen und politischen Entscheidungen. Das erfordert stets ein offenes Ohr für sozialpolitische Entwicklungen und die Bereitschaft, adäquat darauf zu reagieren.

kks: Wie reagieren Arbeitgeber auf die Rückkehrerinnen?

Petra Welz: Personalverantwortliche im Krankenhaus befürchten, dass sich einst Selbstständige nur schwer wieder in den Strukturbetrieb einordnen können. Junge, frisch ausgebildete Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen halten sie für biegsamer.

kks: Zuletzt noch eine persönliche Frage. Sie sind seit zehn Jahren selbstständig, was schätzen Sie daran?

Petra Welz: Ich genieße die Freiheitsluft und die vielen Gestaltungsmöglichkeiten. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Ich entscheide selbst, wie viel ich arbeite und welche Angebote ich nach vorne bringen möchte. Im Team zu arbeiten hat mir zwar auch immer Spaß gemacht noch mehr genieße ich aber, Prozesse alleinverantwortlich von Anfang bis Ende zu begleiten. Total glücklich bin ich dann, wenn meine Angebote gut angenommen werden, die Workshops zustande kommen und die Beratungen gut laufen.

kks: Danke!

(Das Interview ist erschienen in der kks kinderkrankenschwester, 36. Jg. (2017) Nr. 8, S.290 ff.)

(Bildquelle: «Change» by Conal Gallagher, CC-BY-2.0 via flickr)